Zur ersten „richtigen“ Jahreshauptversammlung der Kreisjägervereinigung Böblingen nach der Coronapandemie begrüßte Kreisjägermeister Claus Kissel am 18. März 2023 etwa 200 Mitglieder in der Festhalle in Magstadt. Auch in diesem Jahr wurde, nach 2018 jetzt schon zum dritten Mal, eine Podiumsdiskussion veranstaltet. Zum Thema „Wieviel Freizeitdruck verträgt der Wald – übernutzen wir die Natur?“ tauschten sich Vertreter der Jagd, der Wildtierforschung, der Nutzer des Waldes zur Erholung und Freizeitgestaltung und der Politik aus. „Es gibt kaum noch ein Gespräch unter Jägern, das sich nicht um das Thema Freizeitdruck dreht“, so Claus Kissel. Früher hätte es nur ein paar Spaziergänger im Wald gegeben, aber es werde zunehmend schwieriger, die Jagd ordnungsgemäß durchzuführen, so der Kreisjägermeister weiter. „Man kann unserer Meinung sein, muss es aber nicht. Was wir wollen, ist gegenseitigen Respekt, und dazu gehört, miteinander zu reden.“ Und das taten auf dem Podium, moderiert von Jäger und Buchautor Bertram Graf von Quadt, diese eingeladenen Gäste: Klaus Lachenmaier, Wildbiologe und Referent des LJV, Elisabeth Brandau, Mountainbikerin und Unternehmerin, Martin Wuttke, stellvertretender Landrat für den Landkreis Böblingen, Dr. Tobias Brenner, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag, sowie Staatssekretärin MdL Sabine Kurtz, CDU, und MdL Peter Seimer, Grüne, für den Landtag.
Als Grundlage für die Diskussion stellte Bertram Graf von Quadt einige Zahlen in den Raum: 87 % der Bevölkerung gehen gern in den Wald, es gibt in Deutschland 10,3 Mio. Hunde, 7,1 Mio. E-Bikes und 1,3 Mio. Pferde, und alle wollen die freie Natur genauso genießen wie wir Jäger, stellte der Moderator dar. Und als weitere Info gab er ein Ergebnis einer Befragung von 250 Hegeringen weiter: Auf die Frage, wodurch das Wild am meisten gestört würde, wurden am häufigsten die Hunde und als zweites die Fahrer von Mountain-Bikes und E-Bikes genannt.
Wald für Freizeitaktivitäten und Sport
Das war das Stichwort für Elisabeth Brandau. Ihre Beobachtung sei, dass der Radsport durch und nach Corona explodiert sei. Sie führe das zum einen darauf zurück, dass es eine sehr abwechslungsreiche Beschäftigung sei und dass es mit dem E-Bike jetzt auch nicht mehr so anstrengend sei wie zum Beispiel wandern und die Menschen dadurch auch in Regionen vordringen würden, die sie früher nicht so gut erreicht haben. „Natürlich gehen auch wir Mountainbiker in den Wald, um hier zu trainieren, aber ich scheuche dabei mehr Fußgänger auf und eher weniger Wild“, so ihre Beobachtung. „Wenn ich dagegen zum Joggen in den Wald gehe, sehe ich mehr Wild.“
Brandau ist auch im Mountainbike-Verein aktiv. „Hier führen wir auch die Kinder an den Mountainbike-Sport heran, aber nur auf den ausgebauten Strecken“, betont die 16-fache deutsche Meisterin. Sie macht viel Jugendarbeit im Verein, ihre Kinder haben den Waldkindergarten besucht, aber sie sieht sich oft in einem Dilemma bei den Fragen, die die Kinder an sie richten: „Was wir als Erwachsene nicht verstehen – warum dürfen die auf diesem Weg joggen und ich darf dort nicht Fahrrad fahren – können wir auch den Kindern nur schwer vermitteln.“ Für ein gutes Miteinander und Verständnis füreinander müsse viel in der Erziehung und beim Vorleben passieren – „was die Eltern nicht tun, tun normalerweise auch die Kinder nicht“. Aber dann sei es auch notwendig, dass für das, was verboten sei, Alternativen geschaffen würden. Das funktioniere umso besser, je mehr man sich über die Bedürfnisse und Interessen austauschen würde. „Die Förster waren schon bei uns im Verein, und wir freuen uns, wenn wir demnächst auch die Jäger zu Besuch haben“, sagte sie mit einem Augenzwinkern.
Miteinander reden
Dass der Wald von vielen Interessensgruppen genutzt wird, dem würde die Politik Rechnung tragen, betonte Martin Wuttke. „Alle Sportler sollen sich bei uns gut aufgehoben fühlen. Wir haben bereits eine Mountain-Bike-Strecke ausgebaut, eine weitere ist geplant“, erklärte er. Dies sei zum einen ein attraktives Angebot für die Sportler, zum anderen werde Rücksicht auf die Natur genommen, weil der Verkehr gelenkt und kanalisiert würde. Das würde umso besser funktionieren, je mehr auch die Jäger in diese Planungen einbezogen würden, wies Klaus Lachenmaier auf einen Punkt hin, bei dem er noch Verbesserungsbedarf sieht. Er lobte die Waldbegänge in Magstadt – „hier kommen alle zu Wort“ – habe aber leider sehr oft erlebt, dass man erst etwas hört, wenn Probleme auftreten. „Mehr Kommunikation zwischen den Planern von Einrichtungen und den anderen Beteiligten, zum Beispiel Jägern oder Waldbesitzern, wäre wichtig, denn wir haben ja alle berechtigte Interessen“, appellierte er in die Runde. Dass die Interessen in den drei Funktionsbereichen Lebensraum Natur, Erholung und Nutzraum jedoch unterschiedlich seien, läge in der Natur der Sache, wies Dr. Tobias Brenner hin. Leider fehle hier oft das gegenseitige Verständnis, was sich dann auch oft in einem Nicht-Beachten von Regeln äußern würde. „Das Wild steht im Wald, wenn die Menschen auf den Wegen bleiben, stört es das Wild nicht“, gab er ein Beispiel.
Mehr Verständnis durch mehr Informationen
„Ich freue mich über jeden, der in den Wald geht und sich da wohl fühlt“, betonte Sabine Kurtz, und das Lernen, das zu einem besseren Verständnis füreinander führe, beginne ja idealerweise schon beim Kind, zum Beispiel in den Waldkindergärten. Sie plädierte für mehr Aufklärung, zum Beispiel durch Schilder – „die Gesetzeslage, die die Grundlage für die Verbote schafft, ist ja eindeutig“ -, und wies darauf hin, dass es ja auch die Möglichkeit gebe, zum Beispiel Wildruhegebiete auszuweisen, wie es etwa in Bad Wildbad geschehen sei. Die Aufklärung der Bevölkerung, ergänzte Bertram Graf von Quandt, müsse aber noch viel weiter vorn anfangen, die Menschen stünden vor diesem „Werkzeugkoffer“, und könnten mit den vielen Begriffen, zum Beispiel der Wildruhe, gar nichts anfangen. Das bestätigte auch Peter Seimer: „Bei vielen ist das Verständnis nicht (mehr) da, die denken nur noch, der Staat wolle sie ständig gängeln.“ Er lobte daher das Engagement vieler Gemeinden, die Schilder mit einfach zu verstehenden Hinweisen aufstellen würden. Das sei eine tolle Aufklärung außerhalb der Klassenzimmer.
Aufklärung betreibe auch der LJV mit seiner Initiative Lernort Natur, wies Klaus Lachenmaier hin. Hier sei inzwischen eine flächendeckende Struktur entstanden und es würden jedes Jahr weitere Jäger ausgebildet, die dann in ihrer Freizeit in Kindergärten und Schulen, aber auch auf Festen unterwegs seien. Aber nicht nur hier sei das Ehrenamt aktiv, es gebe auch viele Jäger, die sich in ihrem Umfeld engagieren und beispielsweise Aktionen an Grundschulen durchführen würden, kam als Hinweis und Ergänzung aus dem Publikum.
Mit zwei Strategien könne etwas für das Wild im Wald erreicht werden, so der Wildbiologe Lachenmaier weiter: Die Verbotsstrategie ziele darauf hin, bestimmte Regionen von Störungen freizuhalten, um zum Beispiel Lebensräume für das Auerhuhn oder das Rebhuhn zu schaffen, die es in Ballungsräumen besonders schwer hätten. Das andere sei die Appellstrategie, wie sie beispielsweise bei „bewusst wild“ verfolgt würde, einer Kampagne mit Hinweisen „wie verhalte ich mich richtig und nehme Rücksicht auf das Wohnzimmer der Wildtiere“. Die Kampagne „bewusst wild“, fügte Sabine Kurz hinzu, solle ausgeweitet werden. Und sie wies auf weitere Informationsangebot wie etwa das Waldmobil hin, das auf Gartenschauen Informationen für die interessierte Bevölkerung anbiete. Aber die Bevölkerung müsse das Angebot zum Dialog auch annehmen und nutzen, „man kriegt die Informationen nicht frei Haus geliefert“. Und zum Thema Verbotsstrategie ergänzte sie, dass sie sich unter bestimmten Umständen auch einen Leinenzwang vorstellen könne und an der 2-m-Regelung festhalten wolle, weil auch Familien mit kleinen Kindern gefahrlos im Wald unterwegs sein wollen.
Verbote stoßen auf wenig Verständnis
„Mit Verboten kommen wir nicht weiter, die meisten Menschen reagieren vernünftig, wenn man sie anspricht“, davon ist Landrat Martin Wuttke überzeugt. Bei vielen Menschen würde ihr Verhalten durch eine Bildungslücke begründet. Ruhezonen für das Wild seien seiner Meinung nach nicht nötig, die meisten Menschen würden die Wege nicht verlassen. Dem wurde von mehreren Mitgliedern aus dem Publikum heftig widersprochen, die auch noch in den abgelegensten Winkeln des Waldes nicht nur Menschen mit Hunden und Pferden antreffen würden, sondern auch noch deren Müll aufsammeln müssten. Und mit dem Ansprechen von Waldbesuchern, so ein anderes Mitglied aus dem Publikum, sei es auch oft leichter gesagt als getan, „wenn ich mit dem Gewehr über der Schulter auf jemanden zugehe, spüre ich oft Abwehr und sogar Aggressivität“, so die Erfahrung dieses Jägers.
Dass mit Verboten weniger erreicht wird als mit einem Austausch und Miteinander, davon ist auch Elisabeth Brandau überzeugt. „Wir möchten auf unseren Trails gern die sportlichen Herausforderungen haben, solche Trails werden dann auch gern von uns genutzt. Und bei legalen Strecken ist auch das Gefahrenpotenzial kleiner. Aber leider gibt es auch die, die sich in abgelegenen Regionen illegale Trails bauen. Mir sind Rücksicht und ein gutes Miteinander wichtig, deshalb gehe ich zum Beispiel am Wochenende nicht in den Schönbuch, um den Wanderern die Wege zu überlassen“, erklärte die engagierte Sportlerin.
Gemeinsam Lösungen suchen
Als wichtige Punkte konnten die Teilnehmer am Schluss mitnehmen: Es ist noch viel mehr Aufklärung nötig, um in der Bevölkerung mehr Verständnis für Wald und Wild (wieder) zu erreichen. Dazu tragen die Ehrenamtlichen bei, aber es muss auch die Tagespresse mehr über Jagd und Jäger berichten. Projekte müssen mit allen Beteiligten gemeinsam geplant werden. Mit Verboten kommt man allenfalls in Problemregionen weiter.
Aus dem Vereinsgeschehen: Geehrt, gewählt, gezählt
Weiter ging es nach der Pause und dem musikalischen Beitrag der Bläser zunächst mit den Ehrungen. Zunächst wurde an die neun Mitglieder gedacht, die im vergangenen Jahr verstorben sind. Danach wurden die Treuenadeln für langjährige Mitgliedschaft verliehen: An Eberhard Fischer und Siegfried Wolf für 65 Jahre und an Walter Heller, Wolfgang Hühn und Werner Schneider für 60 Jahre. Die Treuenadeln für 25, 40 und 50 Jahre wurden nicht persönlich im Rahmen den JHV überreicht, sondern werden versandt bzw. in die Geschäftsstelle zur Übergabe eingeladen. Alle geehrten Personen sind auch in der Jägerpost aufgeführt. Als neue Ehrenmitglieder wurden auf Vorschlag des Vorstandes ernannt: Werner Grau, Alfred Ruckwied und Gottlob Schmid. Die Verdienstnadel des DJV in Bronze erhielten Julia Döttling, unter anderem für ihr Engagement bei der Gestaltung der Jägerpost, und Regina Merklein für ihr Engagement an vielen Stellen des Vereins und den Vorsitz in der Jägerprüfung. Die Verdienstnadel des DJV in Silber wurde verliehen an Dr. Thomas Massler für sein Engagement als Stellvertreter in der KJV und an als Markus Netzker für seine Tätigkeit als Mitgliederverwalter.
Nachwahlen von freien Positionen: Timo Böckle wurde als weiterer stellvertretender Kreisjägermeister gewählt. Walter Grandjot wurde als Jugendobmann bzw. Verantwortlicher für das Projekt Lernort-Natur gewählt.
Zusammenfassung der Jahresberichte Kreisjägermeister und Schatzmeister:
- Wir haben eine ausgesprochen positive Mitgliederentwicklung von + ca. 50 % seit 2015 bis heute - insgesamt Stand 1.1.23 - 1027 Mitglieder.
- Die Revierübergreifenden Drückjagden stabilisieren sich aktuell nach dem äußerst herausragenden Jahr 2019/2020.
- Die Jagdschule hat erfreulichen Zulauf, der aktuelle Kurs mit 30 Plätzen (Beginn 09/23) ist schon zu 2/3 belegt.
- Hundeausbildung Kitzrettung laufen auf gutem, stabilem Niveau.
- Wir haben neben der Facebookseite nun auch ein Instagram-Konto @jaeger_boeblingen.
- Die Finanzen des Vereins sind wohl geordnet und wir sind liquide.
Alle Beschlüsse der KJV im 99. Jahr des Bestehens wurden einstimmig und ohne Gegenstimmen getroffen.
Vorschau auf die Termine in diesem Jahr:
6.4.2023: Ausstellung Wilde Jagd im deutschen Fleischermuseum
2.7.2023: Nadelschießen am Mönchsbrunnen
9.7.2023: Bürgerfest zum 50. Landkreisjubiläum
24.9.2023: Keilerfest am Mönchsbrunnen
24.3.2024: Jahreshauptversammlung in Herrenberg
6./7.7.2024: 100 Jahre KJV BB im Eichholzer Täle in Sindelfingen